Ich habe nur eine Unterrichtsstunde, und auch die nur einmal in der Woche. Den Chor, ehrlich gesagt, habe ich zwar vor Kurzem viermal in der Woche zu leiten angefangen, aber deshalb habe ich es auch fertig gebracht, schon dreimal die Grippe zu bekommen, und wenn es so weitergeht, dann werde ich auch mit dem Chor nichts verdienen.“

Als der Chorleiter noch schwerer erkrankte, besuchte ihn der Arzt Andrius Domaševičius. Er war ein Aristokrat mit linken Ansichten, der sich kurz nach seiner Rückkehr nach Vilnius den Aktivitäten der sogenannten „Zwölf Apostel von Vilnius“ anschloss. Er gründete die Litauische Sozialdemokratische Partei und half bei der Organisation des Großen Sejm von Vilnius, zog sich aber zu der Zeit, als er Čiurlionis kennenlernte, aus der Parteiführung zurück. Er besaß eine private Poliklinik sowie ein Krankenhaus und machte außerdem Visiten in anderen medizinischen Einrichtungen, er interessierte sich für Musik und schrieb für die Presse. „Dr. Domaševičius, eine sehr intelligente Persönlichkeit, leidenschaftlich verliebt in klassische Musik, brünett, himmelblaue Augen, hat sich sehr sorgfältig um mich gekümmert, als ich krank war“, schilderte Čiurlionis. Eine Zeit lang konnte der Musiker nicht einmal komponieren – den Flügel erwarb er erst im neuen Jahr. Stattdessen zeichnete er mit wohlwollenden Worten die Porträts von Menschen, denen er hier begegnete.
Zuerst beschrieb er ein Paar, dessen Zuneigung ihm bei der Arbeitssuche in Vilnius half: Jonas und Ona Vileišis. Jonas war zu jener Zeit Vorsitzender des Vereins „Vilniaus kanklės“, und er war einer der Gründer des Litauischen Kunstvereins, dem auch Čiurlionis angehörte. Er schaffte es offenkundig nicht, seinen Verpflichtungen als gewählter Sekretär nachzukommen, weshalb Čiurlionis ihn in seinem Brief ein wenig karikierte: „Jonas Vileišis, [...] sympathisch, ein bisschen Aristokrat, ein bisschen Bourgeois, Mitglied aller existierender litauischer Vereine von Vilnius, offenbar nur um dazuzugehören […] Verliebt in seine Frau.“ Sie war tatsächlich zum Verlieben: Nachdem Jonas Vileišis dem schönen Mädchen Anna aus der aristokratischen Familie Kossakowski begegnet war, übernahm sie vollständig die nationalen Ideale ihres Mannes und begann, Litauisch nicht nur zu sprechen, sondern auch zu schreiben. Čiurlionis lehnte es nicht ab, vierhändig mit ihr zu spielen, weil sie aufrichtig, warmherzig und immer dazu bereit war, den Gast zu beköstigen. Das Zuhause dieser jungen Familie ersetzte ihm ein wenig die Gastfreundschaft der in Warschau zurückgebliebenen Wolmans.

In der Aufzählung seiner neuen Bekannten erwähnte Čiurlionis auch den Bruder von Jonas Vileišis, Petras, den großzügigsten Förderer der litauischen Nationalbewegung. Er hatte nach seiner Ausbildung zum Bauingenieur für Eisenbahnbrücken in der russischen Provinz als Bauunternehmer für Staudämme gearbeitet und beträchtliches Kapital zusammengespart, das er nach der Rückkehr nach Litauen nicht nur für den Aufbau einer Firma nutzte, sondern auch für die Gründung und Unterhaltung der ersten litauischen Tageszeitung, Vilniaus žinios [Vilniuser Nachrichten], einer litauischen Druckerei sowie eines Buchgeschäfts. Eine ganze Reihe führender Persönlichkeiten der litauischen Nationalbewegung konnten dank der von Petras Vileišis geschaffenen Arbeitsplätze nach Vilnius ziehen, darunter sozial und politisch engagierte Geisteswissenschaftler wie Jonas Basanavičius, Jonas Jablonskis und die Brüder Mykolas und Vaclovas Biržiška, aber auch bedeutende Literaten wie Julija Žemaitė, Juozas Tumas-Vaižgantas und Gabrielė Petkevičaitė-Bitė. Vier Jahre lang war Petras Vileišis Abgeordneter im Vilniuser Stadtparlament, und 1905 organisierte er den Großen Sejm von Vilnius. In seinem Palais fand die Erste Litauische Kunstausstellung statt, in der die Litauer zum ersten Mal die Gemälde von Čiurlionis sahen.
An einer Wand in diesem Raum sehen Sie Fotografien von dieser Ersten Litauischen Kunstausstellung im Palais Vileišis. „Petras Vileišis, ein wirklich sympathischer alter Mann, einfach und gutherzig“, so charakterisierte ihn Čiurlionis und fügte hinzu: „Vor einigen Jahren hat er etwa 500.000 besessen, und jetzt sind ihm nur noch 50.000 geblieben. Er hat alles für die Menschen und verschiedene Zwecke der Nationalbewegung ausgegeben.“ Tatsächlich waren die finanziellen Mittel von Vileišis sogar noch dramatischer zusammengeschmolzen, was ihn dazu veranlasste, bald wieder in die russische Provinz zu fahren, um Geld zu verdienen. In einem Brief an Čiurlionis bekannte er: „Wir sympathisieren miteinander.“

Beim Hängen seiner Gemälde für die erste Ausstellung schloss Čiurlionis auch nähere Bekanntschaft mit dem siebenundzwanzigjährigen Künstler Petras Rimša, der als einer der ersten die litauischen Künstler in der Presse dazu anregte, über eine gemeinsame Ausstellung ihrer Arbeiten nachzudenken. Rimša, vom Lande stammend und zunächst gegenüber dem älteren Kollegen etwas schüchtern, freundete sich bald eng mit Čiurlionis an und wurde einer seiner tatkräftigsten Helfer bei der Ausrichtung der Zweiten Litauischen Kunstausstellung. Später hat sich Rimša gern an die Stimmung zurück erinnert, die sich unter den Künstlern beim Hängen der Gemälde für die Erste Litauische Kunstausstellung verbreitete: „Natürlich, die Seele der guten Stimmung in unserem Kreis war Antanas Žmuidzinavičius. Aber auch Čiurlionis mangelte es nicht an ihr. Und schließlich ist es ja auch Brauch, mit einem Lied zu arbeiten. Noch heute habe ich Čiurlionis und Žmuidzinavičius vor Augen, wie sie in den Ausstellungsräumen nach oben geklettert waren und ihre Bilder aufhingen. Und da strömte aus unseren jungen Brüsten ein wunderbares dzūkisches Volkslied: ‚Oi giria giria...‘ [O, Wald, Wald …] Wir sangen uns derart die Seelen aus dem Leib, dass manchmal sogar die Arbeit liegenblieb. Die Vorbereitung der Ausstellung hat uns Künstler zu einer Freundschaft zusammengeschweißt, wie es sie selten gibt …“

Der Landschaftsmaler Antanas Žmuidzinavičius, der in Warschau und Paris studiert hatte, wurde im Herbst 1907 Vorsitzender des neu gegründeten Litauischen Kunstvereins. Und er blieb es über den gesamten Zeitraum des Bestehens dieses Vereins. Als er sich 1908 zu weiteren Studien nach München sowie zu einer Spendensammlung für den Verein nach Amerika begab, vertrat Čiurlionis den Vorsitzenden in allen organisatorischen Belangen. Žmuidzinavičius erinnerte sich daran, wie Konstantinas zur Eröffnung der ersten Ausstellung mit einer ‚großen, zu einer breiten Kokarde gebundenen Krawatte‘ geschmückt erschienen war, und eine junge Dame, die seine seltsamen Gemälde erblickte, auf denen sich ‚das Unterirdische mit dem Himmel vermischte‘, es sich in den Kopf setzte, den Künstler selbst sehen zu wollen, der, ihrer Meinung nach vermutlich ‚weiß Gott, wie aussehen muss‘. Und der in der Nähe stehende Maler eilte heran, um ihr zu antworten: ‚Meine Dame, er ist wirklich furchtbar: Er sieht aus wie ein Drachen, der Jungfrauen verschlingt.‘ Žmuidzinavičius, ein Liebhaber von Konzerten, erwähnte noch lange Zeit später, welchen Eindruck auf ihn das Musizieren von Čiurlionis gemacht hat: „Wenn Čiurlionis gespielt hat, dann endete das Leben dieser Welt: Der Künstler stieg auf und nahm auch seine Zuhörer mit in andere, schönere Welten von Träumen und Fantasiegebilden.“

Doch Čiurlionis unterhielt, als er in Vilnius lebte, enge Verbindungen nicht nur mit Künstlern litauischer Herkunft. Zu seinen bedeutendsten Bekanntschaften zählte der mit ihm gleichaltrige Künstler Lew (Leib) Antokolski. Dieser hatte die Vilniuser Malereischule absolviert, an der Kaiserlichen Kunstakademie in Sankt Petersburg bei Ilja Repin studiert, eine Zeit lang in Paris gewohnt und leitete nun bereits seit fünf Jahren in Vilnius die Zeichenklassen an der Vilniuser Jüdischen Handwerksschule. Sie war vom Verein für Industrielle Kunst initiiert worden, der ihr ein Jahr zuvor den Namen des Onkels von Lew Antokolski – des berühmten Bildhauers Mark (Morduch) Antokolski – verliehen hatte. Auf Čiurlionis‘ Bilder war Lew Antokolski zum ersten Mal in der Ersten Litauischen Kunstausstellung aufmerksam geworden. Seine symbolistischen Arbeiten schienen ihm „von tiefem philosophischem Sinn erfüllt“ zu sein, während ihm die originelle Interpretation von musikalischen Themen vergleichbar mit einem „blendend strahlenden Meteor“ erschien. Später ist Čiurlionis Lew Antokolski hin und wieder zu organisatorischen Anlässen des Litauischen Kunstvereins begegnet. Antokolskis Bekanntschaft mit den Angehörigen von „Welt der Kunst“ in Sankt Petersburg waren für Čiurlionis sehr nützlich, als er professionelle Verbindungen in die russische Hauptstadt anknüpfte. Nach Čiurlionis‘ Tod erinnerte sich Antokolski daran, wie dieser die krummen Gassen von Vilnius gemocht hatte: „Ich kann mich noch an jenen Herbstabend erinnern, an dem ich ihn in seinem winzigen Zimmer in der Andrejewstraße besucht habe, in dem sich nichts außer einem Flügel, einem Haufen Notenblätter und an den Wänden aufgehängten getrockneten herbstlichen Zweigen befand. […] Er war dort allein mit seinen genialen Ideen, die Töne seiner Musik erstaunten durch ihre […] Traurigkeit…“ In diesem bescheidenen Raum wurden Gespräche nicht selten durch Musik fortgesetzt, die von Fingern auf der Tastatur des Lippenberg-Flügels zum Leben erweckt wurde.

Auch Iwan Trutnew hat Čiurlionis in seinem Zimmer besucht, ein Maler von religiösen und volkstümlichen Szenen sowie Porträts in der akademischen Tradition, der damals bereits ein alter Mann von über 80 Jahren war. Er hatte in Moskau studiert, die Metropolen Frankreichs, Deutschlands, Belgiens, der Niederlande und Italiens bereist, eine Zeit lang in Witebsk gearbeitet und leitete nun bereits seit vierzig Jahren die Vilniuser Malereischule. In Sankt Petersburg hatte er sich den Titel eines Mitglieds der Kunstakademie, eines Staatsrats sowie eines Wirklichen Staatsrats erworben. Tatsächlich zählte zu den Werken von Iwan Trutnew auch das Projekt zu einem Denkmal für den Reaktionär Michail Murawjow, doch es ist möglich, dass Čiurlionis davon nichts gewusst hat.

Ende 1908 ließ sich in Vilnius auch Ferdynand Ruszczyc nieder, der Čiurlionis an der Warschauer Kunsthochschule in Malerei unterrichtet und auf ihn einen gewissen Einfluss ausgeübt hatte. Die beiden Männer waren eigentlich Künstler derselben Generation: Ihre Geburtsdaten liegen nur fünf Jahre auseinander. Ruszczyc, der in Sankt Petersburg studiert und München, Berlin, Dresden, Paris und Wien bereist sowie ein Jahr an der Krakauer Kunstakademie gelehrt hatte, fühlte sich von der weniger prätentiösen Vilniuser Atmosphäre angezogen; außerdem hatte in dieser Stadt eine frühe Ausstellung seiner Werke stattgefunden. Das Haus in Užupis, in dem Ruszczyc wohnte, befand sich nicht weit von Čiurlionis‘ Zimmer. Die beiden Maler haben sich gelegentlich getroffen. Nach einem Besuch der Litauischen Kunstausstellung hat Ruszczyc einmal erwähnt, dass nur Čiurlionis‘ Arbeiten Aufmerksamkeit verdienen würden. Ihm gefielen das „Scherzo“ der Sonate sowie der Zyklus „Sternzeichen“, aber er merkte an, die Werke des Künstlers enthielten etwas zu viel Kabbalistik und zu wenig Malerei.
Nach dem Tod von Čiurlionis war Ruszczyc ein Sargträger und hielt eine Rede am Grab des Künstlers, den er mit wesentlichen Eindrücken von seiner Persönlichkeit würdigte: „… Wir verabschieden uns von einem Menschen von unbefleckter Lauterkeit, von einem Freund, der erhabene Ziele hatte, und wir werden seinen tragisch abgebrochenen Gesang tief im Gedächtnis behalten … Er ist fortgegangen in andere Welten, deren Träume ihn in seinem kurzen Leben begleitet haben, in jenes ferne Land, dass wir nicht kennen, von dem wir aber wissen, wir sind es und haben es und spüren es in uns. Dorthin hat Čiurlionis von unserem Ufer aus Brücken aus Farben und Klängen geschlagen. Für andere ist Čiurlionis ein Ausdruck dieser zweifachen Heimat gewesen, aus der ein Künstler und ein Mensch erwächst – der großen Heimat des Geistes, die, ungeachtet der Jahrhunderte und Nationen, die Seelen zu einer großen Gemeinschaft vereint. Und der anderen [Heimat] – des eigenen Erdbodens, an den ihr Sohn sich liebevoll schmiegt. Es gibt ein Gemälde von Čiurlionis, das wir alle gut kennen. Aus erwachendem Licht taucht ein Vogel auf, der mit breitem Flügelschlag an Gebirgsgipfeln vorüber in die Ferne davonfliegt. Es trägt den Titel ‚Nachricht‘. Als Träger einer solchen Nachricht ist Čiurlionis gekommen. Er war der Verkünder einer neuen jungen Kunst, in der er seine getrennte Spur hinterließ. Und seinem Land und seinen Landsleuten kündete er von der Schönheit des in ihnen erwachenden Frühlings. Und im Frühling ist er nun auch fortgegangen.“

Eine andere künstlerische Seele aus dem Umfeld des Vilniuser Kunstvereins war Stanisław Filibert Fleury. Ein Absolvent der Vilniuser Malereischule, hatte er heimlich das Handwerk des Fotografen in den Ateliers einiger bekannter Meister erlernt und beschlossen, sein eigenes Atelier zu eröffnen. Er fotografierte nicht nur gern Ansichten von Vilnius (und hat später als einer der Ersten in dieser Stadt stereoskopische Fotografien hergestellt), sondern hat auch Vilniuser Landschaften gemalt und Bücher illustriert. Als Čiurlionis nach Vilnius zog, arbeitete Fleury bereits seit über zehn Jahren in seinem Atelier in der Didžioji gatvė. Da es sich ganz in der Nähe des Zimmers von Čiurlionis befand, kam dieser eines Morgens im Juni 1908 zu seinem Kollegen, um sich fotografieren zu lassen. Seine Verlobte Sofija Kymantaitė erzählte, das Foto sei nach einer Nacht aufgenommen, die er mit ihr auf dem Gediminashügel verbracht hatte: „An jenem Morgen, er hatte kaum geschlafen, den Flügel transportiert und sich übermüdet bei der Heimkehr daran erinnert, dass er ‚Šaltinis ‘ ein Foto versprochen hatte. Er trat bei dem Fotografen ein, und es wurde dieses Foto aufgenommen, das alle kennen […] Doch das Foto hat etwas Lebloses an sich – da ist nichts von diesem hellen Ausdruck, nur dieses etwas graue Gesicht, und nichts von dem ständigen Leuchten in seinen Augen. / ‚Ich bin so müde gewesen, dass ich mich nicht einmal gekämmt habe‘, rechtfertigte er sich […] später.“ Dieses Foto können Sie in diesem Zimmer sehen – es hängt an der Wand.

Antanas Vileišis, der aktiv an der Tätigkeit des Großen Sejm und der Wissenschaftlichen Gesellschaft teilgenommen hatte, war auch Mitglied des Organisationskomitees der Ersten Litauischen Kunstausstellung. Da er fortschrittliche, linke Ansichten hatte, kümmerte sich der Arzt aufrichtig darum, Vereine für sozial schwache Landsleute zu gründen und arbeitete im Vilniuser Stadtparlament. Einen Teil der Chorproben leitete Čiurlionis in den Räumen des Vilniuser Litauischen Vereins für gegenseitige Hilfe, deren Vorsitzender Antanas Vileišis war.

Čiurlionis wurde in seinem Zimmer auch von dem dzūkischen Literaten Liudas Gira besucht, der Lyrik verfasste und mit vielen Periodika zusammenarbeitete. Der Komponist hatte ihn gebeten, aus dem Polnischen ins Litauische ein Lied zu übersetzen, für das er die Melodie geschrieben hatte. Seine musikalischen Improvisationen haben in dem vierundzwanzigjährigen jungen Mann einen ganzen Wirbel romantischer Bilder ausgelöst: „Seine Hände rissen wie Blitze die Akkorde aus der gesamten Klaviatur […]. Melodien in piano und forte wogten wie vom Wind geschüttelte dzūkische Kiefernwipfel.“ So schilderte Liudas Gira ein Werk, das, in seiner Erinnerung, der Komponist „Glocken“ genannt hat. Aus diesem Anlass hat sich der Komponist über die Bedeutung von Dissonanzen geäußert, die auch in den Sutartinės – litauischen Volksliedern [mit Wechselgesang] –
vorkommen. Wahrscheinlich waren die beiden Männer am stärksten durch ihr Interesse an den Volksliedern und der Volkskunst verbunden, denn als Čiurlionis seine Sonaten zu malen begann, drückte Liudas Gira in der Presse sein Bedauern über diese, wie er meinte, vage Thematik aus und gab den Märchen von Čiurlionis den Vorzug.

Mehrmals hat Čiurlionis mit Kipras Petrauskas geprobt und konzertiert – dem vermutlich berühmtesten litauischen Opernsänger des 20. Jahrhunderts . Zu jener Zeit war Kipras Petrauskas noch Student in der Vokalklasse des Sankt Petersburger Konservatoriums und erlebte den Durchbruch beim litauischen Publikum mit der Rolle des Bruders der Birutė in der Premiere des Melodrams „Birutė“. Wir wissen nicht, ob Čiurlionis auch mit Mikas Petrauskas, dem Komponisten des Stücks bekannt war, das als erste litauische Oper bezeichnet wird, während hingegen als gesichert gilt, dass er dem Verfasser des Librettos, Gabrielius Landsbergis-Žemkalnis, tatsächlich begegnet ist.


In dem von Čiurlionis geleiteten Chor hat auch Marija Piaseckaitė-Šlapelienė gesungen, die in dem Melodram die Hauptrolle der Birutė gespielt hat. Die Proben fanden immer recht spät statt – nach der Tagesarbeit. Marija leitete zu dieser Zeit bereits seit über einem Jahr ein von ihr gegründetes Buchgeschäft und erzog zudem ihr erstgeborenes Töchterchen, weshalb sie sich später entschloss, ihre Karriere als Sängerin aufzugeben. Dennoch hat ihr der Chorgesang geholfen, ihre Interessen zu entwickeln. Čiurlionis hat sie nicht selten an dunklen Winterabenden bis zu ihrem Haus in der Sarazenenstraße begleitet.

Bei der Vorbereitung der Zweiten Litauischen Kunstausstellung standen Čiurlionis einige Helferinnen aus dem Kunstverein tatkräftig zur Seite – insbesondere Sofija Gimbutaitė und Marija Putvinskytė, zwei junge litauische Aristokratinnen, die in Paris ihr Stomatologiestudium absolviert hatten. Sofija Gimbutaitė war gemeinsam mit Čiurlionis im Vorstand des Litauischen Kunstvereins, kümmerte sich um die Buchhaltung der Organisation und wurde später ihre Sekretärin. Sie war fest davon überzeugt, dass eine notwendige Voraussetzung für das Überleben der Kultur eines Volkes die Verbreitung der Kunst und die Gründung eines Nationalmuseums sind und engagierte sich mit aller Kraft für die Verwirklichung dieses Ziels. Sofija hatte dem Kunstverein eine riesige Summe gespendet, was der Kunstverein mit einer lebenslangen Mitgliedschaft honoriert hat. Der Verein war unter ihrer Privatadresse in der Preobraschenski-Straße registriert. Dort trafen alle Briefe und Werke von Künstlern und Volkskünstlern ein, die an der Ausstellung teilnehmen wollten, von dort brachte Čiurlionis sie zum Rahmen und später in die für die Ausstellung angemieteten Räume. Sofija kümmerte sich nicht nur kostenlos um die Zähne von mittellosen Künstlern, sondern gestattete ihnen auch, in ihrem Arbeitszimmer zu übernachten und „lieh“ ihnen auch ohne Gegenleistung Geld. Solche Hilfsleistungen hat auch Čiurlionis mehr als einmal genutzt. Im Herbst 1907 wohnte er bei Sofija Gimbutaitė bis er das Zimmer in der Andrejewskaja-Straße gefunden hatte, indem Sie jetzt stehen. Selbst als er ausgezogen war, kam er jeden Tag zu dieser hilfsbereiten Frau zum Mittagessen. Manchmal, wenn er zu sehr beschäftigt war, brachte sie dem Künstler das Mittagessen auch in das von ihm gemietete Zimmer: „… Dieses furchtbar gute Wesen hat mir heute rote Rübensuppe gebracht und sie auf dem Herd aufgewärmt. Wenn ich bei ihr zu Mittag esse, richtet sie mir gelegentlich auch die Zähne“, bekannte Konstantinas Čiurlionis. Da er für das Mittagessen nicht bezahlen konnte, schenkte der Künstler Sofija Gimbutaitė sein in Grüntönen gehaltenes Gemälde „Schiff“. Sofija hatte auch den ersten Teil von Čiurlionis‘ Diptychon „Trauer“ gekauft. Vor dem Tod – sie starb im Oktober 1911 – verfügte sie mit einem Testament die Schenkung beider Gemälde an den Litauischen Kunstverein.

Die Anhänger des Litauischen Kunstvereins versammelten sich auch in der Wohnung von Marija Putvinskytė. Marija, die im Sommer 1906 nach Vilnius gekommen war, richtete hier ihre Zahnarztpraxis ein und schloss sich aktiv den Vorbereitungsarbeiten zur Ersten Litauischen Kunstausstellung an. Sie nahm an der Gründungssitzung und den Versammlungen des Vorstands des Vereins teil und half vielen seiner Mitglieder. Marija war eng mit Antanas Žmuidzinavičius befreundet, vertrat, wenn er im Ausland war, so gut es ging, den abwesenden Vorsitzenden und unterstützte Čiurlionis bei der Vorbereitung der Ausstellung. Sie machte Aufsicht in den Sälen und arbeitete an der Kasse und prägte sich außerdem ein, wie die Besucher auf die symbolistische Kunst reagierten.
Als ein vermeintlicher Kunstkenner auf eines der Gemälde von Čiurlionis wies und laut auf Polnisch fragte
„A to jaki wariat namalował?“ – „Hat das ein Verrückter gemalt?“, antwortete dieser gelassen, ebenfalls auf Polnisch: „A to ja“ – „Das war ich“ – und löste ringsumher Gelächter aus. Über Marija schrieb der Künstler in seinem Brief [an Halina Wolman], sie „ist eine Enthusiastin. Sie ist sympathisch und spielt Billard.“ Je länger er sie kannte, umso mehr überzeugte sich Čiurlionis von ihrem guten und großzügigen Charakter. Als er einmal nach Warschau fahren musste, um die Plakate für die Ausstellung zu lithographieren, war es Marija, die ihm die Zugfahrkarten besorgte.

Große, ja sogar exaltierte Aufmerksamkeit schenkte Čiurlionis die Journalistin und „Schreiberin“ Ona Pleirytė, die kurz zuvor den Laien-Literaten Kazimieras Puida geheiratet hatte. Beide arbeiteten in der Redaktion der Tageszeitung „Vilniaus žinios“ [Vilniuser Nachrichten]. Der an der Organisation der Ersten Litauischen Kunstausstellung beteiligte Puida fungierte zeitweise sogar als verantwortlicher Chefredakteur. Jedoch geriet die Ehe dieser beiden jungen Leute vermutlich in eine Krise, sodass Ona Pleirytė nach einem seelenverwandten Menschen zu suchen begann. Nicht selten tauchte sie in Čiurlionis‘ Nähe auf und verfasste außerdem nach Motiven seiner Gemälde unter dem Pseudonym „Vaidilutė“ [Hohepriesterin] Impressionen, die sie in der Presse veröffentlichte. Zum Dank für die Aufmerksamkeit schenkte der Künstler ihr sein Gemälde „Sehnsucht“, das in den Wirren des Ersten Weltkriegs verloren ging. Ona Pleirytė hat den Künstler und seine Werke recht treffend geschildert: „Čiurlionis‘ Gemälde sind ungewöhnlich. […] Ich habe viele europäische Museen besucht, jedoch nie etwas Ähnliches gesehen […] Ungewöhnlich ist auch Čiurlionis selbst – er ist einer von jenen Menschen, die alle Blicke und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, doch zugleich durch ihre besondere, tiefe Konstruktion Beklommenheit wecken. Er ist von mittlerem Alter und Wuchs, mit einem ausgeprägten, ja sogar scharf umrissenen Profil des Gesichts und eher unschön und trübsinnig. Doch seine großen, tief blickenden Augen, sein ruhiger Schatten von offenkundiger Traurigkeit und seine ungewöhnliche Intelligenz heben ihn aus jedem Umfeld heraus.“
„Das sind nun alle […] sogenannten handelnden Personen, in der Komödie oder in dem Drama, an dem ich lebhaft teilnehmen muss“, beschloss Čiurlionis scherzhaft seine Präsentation der Menschen, denen er in Vilnius begegnet war.